Arbeitszukunft

G R U N D E I N K O M M E N
   Wer hat Lust auf Arbeit?
Künftig werden Roboter nicht nur Autos montieren, sondern
auch Loks fahren und Menschen operieren. Das erfordert einen
neuen Sozialstaat und ein Grundeinkommen für alle.
VON
Thomas Straubhaar
|

02. Juni 2016 - 18:04 Uh

Wer wird noch freiwillig arbeiten, wenn es keinen Arbeitszwang gibt? Spannende Frage.
Stellt man sie verschiedenen Menschen, erhält man eine paradoxe Antwort: Fast niemand
will mit dem Arbeiten aufhören. Fast alle aber glauben, dass sich alle anderen ganz anders
verhalten und auf die faule Haut legen würden.
Andere wiederum argumentieren: Unser Wirtschaftsmodell sei existenziell darauf
angewiesen, dass es Menschen gibt, die durch Existenznot und Erwerbsdruck zu zwingen
wären, für wenig Geld Jobs anzunehmen, die niemand gerne macht. Was für ein zynischer
Irrtum. Es ist höchste Zeit, mit diesem anachronistischen Ausbeutungssystem des
Frühkapitalismus aufzuräumen.
Im Zeitalter der Digitalisierung ist es mehr denn je wirtschaftlich unsinnig, Menschen zu
zwingen, Arbeiten zu erledigen, die menschenunwürdig sind. Der Mensch ist ökonomisch
zu wertvoll, um ihn gefährliche, riskante und gesundheitsschädigende Arbeiten machen
zu lassen und ihn dann Jahrzehnte bis zum Lebensende krank durch den Sozialstaat zu
schleppen. Das ist eine Privatisierung der Arbeitserträge und eine Sozialisierung der
Folgekosten. Das kann ökonomisch nicht effizient sein. Es muss doch alles was möglich ist
getan werden, damit Menschen bei der Arbeit körperlich und auch geistig gesund bleiben
und nicht krank, ausgebrannt oder sogar nachhaltig versehrt werden.
Die Digitalisierung wird dazu führen, dass Automaten und Roboter den Menschen aus
der Produktion verdrängen. Nicht nur standardisierte einfache Arbeiten am Fließband,
an Supermarktkassen oder im Büro werden verschwinden. Auch bei qualifizierteren
Tätigkeiten wie die von Lokomotivführern, Versicherungsmaklern oder Buchhaltern
werden Menschen zunehmend überflüssig. Das ist vor allem dort ein Segen, wo bislang
Menschen gefährliche, schmutzige oder risikoreiche Jobs im Hoch- und Tiefbau,
auf Dächern und in Tunnels, in Schlachtereien und Labors oder bei Kontroll- und
Wachdiensten ausüben mussten. Hier werden in Zukunft Bauroboter Ziegel schleppen und
Fenster montieren, Industrieroboter werden neue Materialien, Bau-, Wirk- und Wertstoffe
anwenden, intelligente Automaten und selbstgesteuerte Kameras werden prüfen, bewachen,
kontrollieren und reagieren und dreidimensional einsatzfähige Polizeiroboter werden
für die innere Sicherheit sorgen. Überall wird es möglich sein oder muss es möglich
gemacht werden, Menschen in ihrer unantastbaren Würde vor physischer und psychischer
Schädigung zu schonen und sie in der frei gewordenen Zeit für bessere und weniger
strapaziöse Jobs weiter auszubilden.
Die Digitalisierung wird nicht nur Millionen von Jobs vernichten, sie wird auch Millionen
von neuen Arbeitsplätzen schaffen. Viele davon in Bereichen, die wir uns heute noch gar
nicht vorstellen können. Sicher ist, dass Arbeit mehr und mehr ein radikal anderes Gesicht,
eine andere Bedeutung und einen neuen Stellenwert erhalten wird – gesellschaftlich und
wirtschaftlich. Dem muss der Sozialstaat des 21. Jahrhunderts Rechnung tragen.
Die menschliche Arbeit durch Roboter und Maschinen zu ersetzen bedeutet das Ende eines
Sozialstaates, dessen Finanzierungsgrundlage das Arbeitseinkommen darstellt. Mit der
Industrialisierung im 19. Jahrhundert wurde "(Lohn-)Arbeit zum entscheidenden Faktor der
Wertschöpfung, zum wichtigsten Kriterium für das Selbstwertgefühl des Menschen und zur
vorrangigen Quelle für die Einnahmen des Staates", sagt Konrad Paul Liessmann, Professor
für Philosophie und Ethik an der Universität Wien. Wenig bis nichts mehr davon behält im
Zeitalter der Digitalisierung seine Gültigkeit.
Arbeit wird immer weniger das Maß aller Dinge sein und weniger denn je wird nur wer
arbeitet ein Mensch sein, der sozialpolitischer Unterstützung bedarf. Weder wird es
noch einen allgemeintypischen, für alle mehr oder weniger gültigen Normalfall einer
lebenslangen Erwerbstätigkeit geben, noch wird die einseitige Finanzierung der sozialen
Sicherungssysteme über das Arbeitseinkommen dem durch die digitale Revolution
ausgelösten Strukturwandel gerecht.
Die Zukunft erfordert einen "blinden" Sozialstaat. Er muss alle Einkommen – also Löhne,
Zinsen, ausgeschüttete Gewinne, Dividenden, Tantiemen, Mieteinnahmen, Transaktions-
und Spekulationsgewinne – gleichermaßen und mit dem gleichen Steuersatz in die Pflicht
nehmen und nicht die eine gegenüber der anderen Einkommensform bevorzugen oder
benachteiligen. Es gibt viele gute und wenig schlechte Gründe dafür, unbesehen, ob
Menschen, Roboter oder Maschinen am Werk waren, alle Wertschöpfung an der Quelle
ihrer Entstehung vom ersten bis zum letzten Euro mit einem einheitlichen Steuersatz zur
Finanzierung staatlicher Aufgaben zu belasten.
Ein soziales Sicherungssystem, das einseitig auf Beiträgen aus Lohneinkommen basiert,
ist ein Anachronismus aus der Zeit der Industrialisierung und der ungebrochenen
lebenslangen Erwerbsbiografien, als das Arbeitseinkommen des Mannes die wichtigste
Quelle eines Familieneinkommens darstellte. Die Individualisierung hat das traditionelle
Rollenverständnis und die Solidargemeinschaft der Familie infrage gestellt. Die Arbeitswelt
von heute verursacht Brüche und erfordert Auszeiten zur Neuorientierung. Beiden
Veränderungen muss ein modernes Sozialsystem gerecht werden. Und eine Verlagerung
der Finanzierung der sozialen Sicherung von Lohnbeiträgen auf eine Wertschöpfungssteuer
erfüllt genau diese Forderung.
Ein Grundeinkommen könnte helfen
Es ist kein großes Wunder, dass im Zeitalter der Digitalisierung die alte Idee eines
Grundeinkommens weltweit neue Unterstützung erhält. Kein anderes Modell trägt als
integriertes Steuertransfermodell aus einem Guss sowohl den Folgen der Digitalisierung
wie den Wirkungen der Individualisierung Rechnung. Am Sonntag entscheiden die
Schweizer in einem Referendum darüber.
Wo und wie weit Roboter Menschen aus der Arbeit drängen werden, hängt von den
Kostenunterschieden zwischen Löhnen und Maschinen ab. Und ob noch jemand Lust und
Wille hat niedrig bezahlte, aber für die Gesellschaft wichtige Tätigkeiten auszuüben, wird
von der Höhe eines Grundeinkommens abhängig sein. Je höher das Grundeinkommen,
umso höher müssen die Steuersätze zur Finanzierung sein und umso geringer dürften die
Arbeitsanreize bleiben. So einfach funktionieren die Regeln der Ökonomik – auch im
Zeitalter der Digitalisierung und auch bei einem Grundeinkommen.
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http://www.zeit.de/wirtschaft/2016-06/grundeinkommen-schweiz-arbeitsmarkt

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