Kurze Analyse: Türkei

Günter Seufert von der Stiftung Wissenschaft und Politik analysiert die Bedeutung des Putschversuches für das politische System der Türkei. Der große Gewinner sei Recep T. Erdogan. Sein Plan, ein Präsidialsystem einzuführen, könnte nun aufgehen.

Welche Bedeutung haben die Ereignisse nun für das politische System der Türkei? –

 

Erstens lässt sich feststellen, dass die Demokratie in der Türkei nach dem Putschversuch nicht besser dasteht als zuvor. Im Gegenteil: Die Regierung sieht den Putsch als Gelegenheit, nicht nur im Militär aufzuräumen, sondern auch in der Justiz. Fast 3000 Richter und Staatsanwälte wurden ihres Amtes enthoben, circa 500 verhaftet, und die Verhaftungswelle setzt sich fort. Zur Begründung für die Säuberung in der Justiz wird die Bewegung des Predigers Fethullah Gülen herangezogen, die den Putsch orchestriert haben soll und die auch in der Justiz gegen die Regierung arbeite. Die Mühe, eine wie immer geartete konkrete Verbindung der beschuldigten Juristen mit den Putschisten nachzuweisen, macht sich die Regierung nicht. Vielmehr nutzt sie die Situation, bereits lang gehegte Pläne umzusetzen. Schon vor Wochen hatte sie dem Parlament einen Gesetzesentwurf zugeleitet, der ihr die Kontrolle über die Besetzung des Kassationsgerichts und des Verwaltungsgerichtshofs ermöglichen soll. Der linksliberale Juristenverband »Yargida Birlik« hatte in diesem Zusammenhang schon vor dem Putschversuch davor gewarnt hat, dass im Rahmen der Hatz gegen Gülenisten auch seine Mitglieder aus der Justiz heraus gedrängt werden sollen. Nun wird der Putschversuch für eine Gleichschaltung der türkischen Justiz genutzt.

 

Der große Gewinner des Putschversuches ist, zweitens, der, gegen den er sich richtete: Recep T. Erdogan. Seit den Gezi-Protesten 2013 hat er jegliche Opposition als »Putschversuch« gegen seine Regierung gebrandmarkt. In den Augen seiner Anhänger bestätigt der tatsächliche Putschversuch diese Rhetorik Erdogans, und es ist durchaus möglich, dass er jetzt die gesellschaftliche Unterstützung für die Einführung des Präsidialsystems erhält, die ihm bislang versagt geblieben ist.

 

Fest steht drittens, dass es in der Türkei künftig keinen Militärputsch mehr geben wird. Denn erstmals in der an Staatsstreichen so reichen Geschichte des Landes ist die mittlerweile hochgerüstete Polizei nicht vor Gefechten mit dem Militär zurückgeschreckt. Erstmals mussten Putschisten erkennen, dass sie die Medien nicht mehr kontrollieren können. Und am wichtigsten: Noch nie zuvor hat sich die Bevölkerung gegen die Panzer der Putschisten gestellt.

 

Am 15. Juli ist, viertens, ein neuer Akteur auf die politische Bühne getreten. Angeleitet über die Moscheen hat die religiös-konservative Mehrheit der Bevölkerung erstmals die Herrschaft über die Straße übernommen, auf der sich sonst nur die linke und die kurdische Minderheit zu Wort meldeten. Während der Gezi-Proteste 2013 hatte Erdogan mit der Mobilisierung seiner Anhänger gedroht. Ab jetzt kann er jederzeit zu diesem Mittel greifen. Schon ruft Seref Malkoc, einer der Chef-Berater Erdogans, dazu auf, Gesetze zu lockern, um die Selbstbewaffnung »des Volkes« zu erleichtern.

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